Widerstand

Dies ist ein Brief, geschrieben aus einer auferlegten Randstellung, aus erzwungener Abwesenheit, aus einem Schweigen, das einem auf die Haut genäht wurde. Er wurde an Institutionen, an Zeitungen, an Organisationen gesendet. Er ist der Schrei dessen, der sich nicht ergibt. Es ist ein Widerstand – unbewaffnet, aber klar und entschlossen. Gewidmet allen Vätern, die noch daran glauben, dass Liebe nicht genehmigt, sondern einfach erkannt werden muss.

1. Eine notwendige Prämisse Ich habe nie an Verschwörungstheorien geglaubt. Ich denke nicht, dass hinter jedem sozialen Wandel eine geheime Regie steckt, noch dass jede kulturelle Transformation das Ergebnis eines ausgeklügelten Plans ist. Ich glaube vielmehr an die Komplexität historischer Prozesse: an die Schichtung von Ursachen, an die Kraft unerwarteter Ereignisse, an das chaotische Zusammenspiel von Willen und Unterlassung. Gerade deshalb entspringt das, was ich hier sagen will, keinem Vorurteil, sondern einer klaren Beobachtung. Heute wird die Figur des Vaters – insbesondere des präsenten, liebevollen, verlässlichen Vaters – zunehmend an den Rand gedrängt. Nicht zufällig. Aber auch nicht aus Notwendigkeit. Es ist, als hätte das System aufgehört, Väter zu brauchen. Oder, noch radikaler, als würde es sie als Hindernis betrachten. Als ein Störfaktor, den man beseitigen muss, um den Weg für ein neues Modell freizumachen: eine fluide Familie, losgelöst von definierten Rollen, stabilen Bindungen und dauerhaften Bezugspunkten. Ein Modell, in dem alles reversibel, vorläufig, verhandelbar ist. Und in dem der Vater – mit seiner Neigung zu Beständigkeit, Verantwortung, Schutz – das letzte Bollwerk ist, das es abzubauen gilt. Sorgfältig. Systematisch. Mit stiller Entschlossenheit. 2. Die patriarchale Familie auf dem Prüfstand Seit Jahrtausenden war die Familie um einen zentralen Pfeiler herum aufgebaut: den Vater. Eine Autoritätsfigur, ein normativer Bezugspunkt, der Garant für die Weitergabe von Namen, Rolle und Grenzen. Dieses Modell – die patriarchale Familie – hatte viele Ausprägungen, mal strenger, mal milder, mal unterdrückend. Doch es hatte ein klares symbolisches Zentrum: Der Vater verkörperte Gesetz, Ordnung, Verantwortung. Es ist richtig, dass dieses Modell in Frage gestellt wurde. Zu oft brachte es Leid, Ausgrenzung, unerträgliche Ungleichgewichte hervor. Es unterdrückte die Stimme der Mütter, reduzierte Kinder zu passiven Empfängern von Entscheidungen, die von oben kamen. Keine blinde Nostalgie darf diese Mängel ignorieren. Aber im Eifer, die väterliche Autorität zu demontieren, ging etwas verloren. Die Macht wurde gestürzt, doch ein neues Gleichgewicht wurde nicht geschaffen. Die Vaterfigur wurde delegitimiert, doch es wurde kein neuer Bezugspunkt gefunden. Die notwendige Kritik wurde mit einer systematischen Auslöschung verwechselt. Und so ist der Vater heute nicht nur eine Figur in der Krise: Er ist zu einer unbequemen Präsenz geworden, weil er für das steht, was dem Strom widersteht. Ein symbolischer Damm. Eine Erinnerung an starke Beziehungen, stabile Rollen, bindende Verbindungen. Und das – in einer Gesellschaft, die vom Kult der Fluidität, vom Glauben an die Unsicherheit und von der Religion der kurzlebigen Bindungen beherrscht wird – ist nicht mehr akzeptabel. 3. Von der vaterzentrierten Gesellschaft zur Entsorgung des Vaters Über Jahrhunderte hinweg fand die Gesellschaft in der Familie ihren ersten Zusammenhalt. Und in dieser Familie war der Vater das symbolische Zentrum: derjenige, der Form, Richtung und Kontinuität gab. Er war das Bindeglied zwischen Generation und Weitergabe, zwischen Identität und Norm. Heute erleben wir einen epochalen Umbruch. Der Vater hat nicht nur seine zentrale Rolle verloren. Er hat seine Gestalt verloren. Seine Funktion. In vielen Fällen auch seine Legitimität. Man diskutiert nicht mehr darüber, welcher Vater nützlich oder wünschenswert wäre. Die Frage ist radikaler: Der Vater selbst scheint nicht mehr notwendig zu sein. Weder für das Aufwachsen der Kinder, noch für den Zusammenhalt der Familie, noch als symbolische Figur in der kollektiven Kultur. Die dominante Erzählung marginalisiert ihn, verspottet ihn, begegnet ihm mit Misstrauen. Der Vater ist zu einem semantischen Relikt geworden: nur noch als Risiko erwähnt, nie als Ressource. Und so wird der Vater abgebaut, ohne etwas an seine Stelle zu setzen. Vaterschaft wurde nicht neu gedacht. Sie wurde einfach deaktiviert – reduziert auf eine biologische Funktion oder auf eine überwachte Figur, unter Bedingungen, Prüfungen, Genehmigungen gestellt. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, die den Vater im Namen des Fortschritts demontiert hat – und dabei auch Familie, Kontinuität und Weitergabe ausgehöhlt hat. In diesem Kontext wird Vaterschaft nicht mehr als Wert gesehen, den man pflegen sollte, sondern als Risiko, das es einzugrenzen gilt. 4. Jenseits der Schmerzindustrie: Der Vater als systemisches Hindernis Anfangs dachte ich, all das ließe sich mit einem ebenso einfachen wie beunruhigenden Konzept erklären: der Schmerzindustrie. Ein System, das von familiären Zerwürfnissen profitiert, das Konflikte monetarisiert, das sich von Leid ernährt. Eine gut geölte Maschinerie, in der jeder Akteur seine Rolle spielt: Gerichte, Anwälte, Polizei, Psychologen, Sozialarbeiter, Mediatoren. Ein Apparat, der unaufhörlich Akten, Gutachten, Berichte, Stellungnahmen, Honorare produziert — in einem endlosen Zyklus. Doch mit der Zeit erschien mir diese Erklärung nicht mehr ausreichend. Denn ich nahm etwas noch Beunruhigenderes wahr als bürokratische Komplizenschaft: ein einheitliches, geschlossenes, übergreifendes Schweigen. Regierung und Opposition – obwohl sie sich in allem widersprechen – schweigen gleichermaßen. Die Kirche, einst Verteidigerin familiärer Werte, ist abwesend. Die Medien zeigen Desinteresse. Die Kultur ist abgelenkt. Die Intellektuellen verstummt. Die Zivilgesellschaft betäubt. Da wurde mir klar: Es geht nicht nur um Geld oder Fahrlässigkeit. Die Marginalisierung des Vaters ist kein Nebeneffekt. Sie ist das Symptom eines strukturellen Wandels. In einer Gesellschaft, die den Kult der Unverbindlichkeit, der kurzlebigen und rückgängig machbaren Beziehungen feiert, ist der Vater ein Problem – weil er für Kontinuität, Verantwortung und Grenze steht. Der Vater ist das Hindernis. Er ist das, was sich der vertraglichen, technischen, prozeduralen Logik nicht beugt. Er ist das, was sich der Vereinzelung des Menschen widersetzt. Deshalb genügt es nicht, ihn zu neutralisieren: man muss ihn auch symbolisch delegitimieren. In diesem Zusammenhang zeigt sich das Wort „gemeinsames Sorgerecht“ in seinem wahren Licht: ein heuchlerisches Schlagwort, das in Gerichtsdokumenten gebetsmühlenartig wiederholt wird, während in der Realität genau das Gegenteil praktiziert wird – der Vater als konditionierte, überwachbare, ausgrenzbare Figur. Ein halbierter Elternteil. Ein verdächtiger Bürger. Ein Mann, dem seine Rolle entzogen und das natürlichste Recht abgesprochen wird: Vater zu sein – ohne Genehmigung. 5. Der Schutz als Waffe: Der Vater als Bedrohung Man muss keine Dystopie entwerfen, um zu verstehen, was geschieht. Es reicht, die gegenwärtige juristische und gesellschaftliche Normalität genau zu betrachten. Eine Normalität, in der jede Form stabiler Bindung schrittweise infrage gestellt wird: die Heimat, die Gemeinschaft, die Religion, das Geschlecht, die Familie... Und unter allen ist die fragilste und symbolisch kraftvollste: die Figur des Vaters. Doch noch beunruhigender ist die Sprache, mit der dieser Zerfall gerechtfertigt wird. Es ist nicht mehr die Rede von „Ausschluss“ oder „Entfernung“. Man spricht von Schutz. Von Prävention. Vom Kindeswohl. Als wäre die bloße Anwesenheit des Vaters ein latentes Risiko. Als müsste die emotionale Bindung zwischen Vater und Kind geprüft, gefiltert, genehmigt werden. Als wäre väterliche Nähe ein Angriff auf das Wohl des Kindes. Das ist die vollendete Perversion der Sprache. Schutz wird zur präventiven Trennung. Liebe wird zum Verdachtsmoment. Emotionale Kontinuität zur verhandelbaren Eventualität. Und so verkündet man lautstark die Bedeutung von „gemeinsamer Elternschaft“ und „Kindeswohl“, während sich in der Praxis eine stille, weit verbreitete Gewohnheit etabliert: die Abwesenheit des Vaters zu normalisieren – ihn zur optionalen Präsenz zu machen, die nur unter idealen, überwachten, sterilen Bedingungen gewährt wird. Aber ein Vater, der unter Vorbehalt steht, ist kein Vater mehr. Er ist ein befristeter Gefühlsbeamter, ein Asylbewerber im Leben seiner eigenen Kinder. Und das ist kein Zufall. Es ist das logische Resultat eines größeren Plans: die Atomisierung des Individuums als Strategie sozialer Steuerung, und die Verwandlung des Kindes in ein zu verwaltendes Gut – nicht in ein Wesen, das in echten, starken, auch unvollkommenen Beziehungen heranwachsen soll. 6. Der Vater vor dem Gesetz: vom Subjekt zum Verdächtigen Die symbolische Auslöschung des Vaters findet ihren brutalsten Ausdruck vor Gericht. Nicht in Extremfällen, sondern im alltäglichen, stillschweigenden, zur Normalität gewordenen Vorgehen. Immer häufiger wird das väterliche Elternrecht an eine Bedingung geknüpft: Es reicht nicht mehr, Vater zu sein. Man muss es beweisen, rechtfertigen, argumentieren. In zahllosen Urteilen – auch in meinem eigenen – liest man dieselbe verstörende Formulierung: „Das Interesse des Vaters an der Beziehung zu den Kindern wurde weder geltend gemacht noch nachgewiesen.“ Als wäre Vaterliebe ein prozessualer Antrag. Als müsste der Wunsch, da zu sein, protokolliert, verschriftlicht, dokumentiert werden. Als wäre Vaterschaft kein Beziehungsfaktum mehr, sondern eine konditionale Bewilligung. Niemand würde von einer Mutter verlangen, ihre Zuneigung schriftlich zu erklären. Keine Mutter muss die Legitimität ihrer Liebe beweisen. Aber der Vater ist heute gezwungen, sein eigener Anwalt zu sein – das zu verteidigen, was einst genügte einfach zu sein. Das Rechtssystem, das eigentlich Gerechtigkeit und Schutz garantieren sollte, verwandelt sich so in einen Apparat, der Ausschluss legitimiert. Ein Mechanismus, der Vorurteile nicht korrigiert, sondern institutionell verankert. Und dahinter steckt nicht bloß ein technischer Irrtum oder ein bürokratischer Überlauf, sondern ein ideologisches Vorurteil. Tief verankert. Systemisch. Schuldzuweisend. Die unausgesprochene, aber allgegenwärtige Annahme: Der Vater ist – potenziell gefährlich, emotional zweitrangig, symbolisch überholt. Ein Gedanke, der Gutachten, Empfehlungen, Expertisen, Urteile durchdringt. Ein Gedanke, der den Mann zum konditionierten Elternteil und den Vater zur verdächtigen Figur macht, die es zu überwachen gilt. Und so ist in der Heimat des Rechts das Vatersein kein Recht mehr. Es ist eine Hürde. Ein Privileg zur Verhandlung. Eine Rolle, die reduziert, entzogen, zergliedert werden kann. 7. Kein Ausweg aus dem Topf? Ein Appell, bevor es zu spät ist Ich weiß nicht, wie man diesen Abgrund noch aufhalten kann. Ich gestehe es mit klarem Blick, ohne Scham. Selbst die gebildetsten, sensibelsten und bewusstesten Geister scheinen nicht zu begreifen, was hier wirklich geschieht. Oder schlimmer noch: Sie begreifen es – und entscheiden sich, wegzuschauen. Niemand fühlt sich wirklich als Vater, bis man es ihm verwehrt. Niemand erkennt die Gefahr, bis es zu spät ist. In der Zwischenzeit werden im Namen des Schutzes Beziehungen ausgelöscht, Rechte geopfert, jahrtausendealte Prinzipien der Gerechtigkeit außer Kraft gesetzt. Ein Schutz, der ausschließt, ist kein Schutz. Er ist Kontrolle. Er ist Herrschaft. Er ist Vernichtung. Und deshalb, aus dieser auferlegten Randstellung heraus, aus diesem Schweigen, das mir auf die Haut genäht wurde, wende ich mich an jene, die diesen zerstörerischen Prozess noch aufhalten könnten. An die Politik – wenn es noch eine Politik gibt, die bereit ist, das Unbequeme zu hören, die nicht nur verwaltet, sondern gestalten will. An die Kirche – die über Jahrhunderte von Vätern, Vaterschaft und Kindern gesprochen hat – und die heute gerade dort schweigt, wo sie ihre Stimme erheben müsste. An die Zivilgesellschaft, an alle, die in den sozialen Diensten, in den Gerichten, in den Schulen arbeiten und genau wissen, was passiert – aber vielleicht aufgehört haben, sich zu empören. An die Intellektuellen, Journalist:innen, Jurist:innen – an all jene, die mit Worten und Gedanken arbeiten und die Pflicht haben, Heuchelei zu benennen, wenn sie ihr begegnen. An die Väter, Männer, Freunde – die noch daran glauben, dass echte Liebe nicht gerechtfertigt werden muss, sondern erkannt werden sollte. Haltet inne. Halten wir inne. Es bleibt keine Zeit mehr. Denn der Frosch sitzt bereits im heißen Wasser. Und die nächste Generation läuft Gefahr, aufzuwachsen, ohne jemals zu wissen, was ein Vater wirklich war.

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