Im Grunde sind wir alle ein bisschen Kind geblieben,
als Geschichten immer endeten mit: "Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage."
Dann wird man erwachsen und erkennt, dass ein Happy End selten ist.
Dass Liebe zerbrechen kann.
Dass auch jemand, der dich einst liebte, sich abwenden und gehen kann.
Dass ein Kind sich von dir entfernen kann
ohne auch nur zu wissen, warum.
Aber ich möchte euch eine Geschichte mit gutem Ende erzählen.
Ich weiß nicht, ob sie wirklich passiert ist,
oder ob ich sie nur geträumt habe
in einer dieser langen Nächte,
in denen sich Schmerz mit Hoffnung vermischt
und man nicht mehr zwischen Erinnerung und Gebet unterscheiden kann.
Es war eine Geschichte, die schlecht zu enden schien.
Ein einsamer Mann, ein Vater,
der seinen Sohn nicht mehr sah.
Er sah ihn nur aus der Ferne, auf verschwommenen Fotos.
Seine Stimme war für ihn zu Stille geworden.
Seine Berührung, eine verblassende Erinnerung.
Er war kein gewalttätiger Vater gewesen,
aber ein unvollkommener, ja.
Er hatte beschlossen zu gehen,
als die Beziehung zur Ehefrau zu einem müdem Labyrinth geworden war.
Er hatte Unterhalt gezahlt.
Er hatte anfangs versucht, präsent zu bleiben.
Dann hatten Distanz, Erschöpfung, Scham
ihn an den Rand seines eigenen Lebens gedrängt.
Und er hatte nicht mehr die Kraft gefunden, zurückzukehren.
Der Sohn war inzwischen gewachsen.
Er hatte gelernt, ohne ihn zu leben.
Die Mutter war stark, präsent.
Und um ihn herum viele Altersgenossen:
abwesende Väter, wechselnde Wochenenden, stille Telefone.
Niemand hatte je gefragt, wo sein Vater sei.
Und er hatte nie antworten müssen.
Die Begegnung geschah zufällig.
An einer Ampel, in einem beliebigen Stadtteil.
Der Vater sah ihn sofort, diesen Jungen.
Groß, schlank, sein Gesicht erwachsener als in der Erinnerung.
Er war allein, mit einem Rucksack und Kopfhörern.
Sein Herz krampfte sich zusammen.
Er wusste nicht, ob er sprechen, lächeln
oder so tun sollte, als sei nichts.
Dann geschah es.
Der Junge drehte sich um.
Und ihre Blicke trafen sich.
Es war nur ein Blick.
Ein Moment der Stille,
in dem beide etwas erkannten:
eine Verbindung, die nie ganz erloschen war.
Eine Leere, die vielleicht doch noch zu füllen war.
Es war ein Moment der Offenbarung.
Einer jener seltenen, die das Leben einem vielleicht einmal schenkt,
wenn überhaupt.
In diesem Blick gab es keine Vorwürfe mehr, keine Verteidigung.
Schuld, Fehler, Verantwortung —
verflüchtigten sich wie Schnee in der Sonne des Wesentlichen.
Sie standen nackt vor sich selbst.
Ohne Rollen, ohne Ausreden.
Nur ein Vater und ein Sohn,
befreit von jeder Distanz,
vereint durch das, was sie verloren hatten
und das, was sie vielleicht noch retten konnten.
In diesem Blick
sah der Vater seine Vergangenheit.
Alles, was er nicht hatte sein können,
und was ihm nun barmherzig zurückgegeben wurde.
Der Sohn dagegen sah seine Zukunft.
Eine neue Möglichkeit,
eine Brücke, wo vorher nur Leere war.
Und von diesem Moment an,
ohne ein Wort,
war sein Leben nicht mehr dasselbe.
Das ist meine Geschichte.
Ich erzähle sie, wie ich sie erinnere.
Oder wie ich sie geträumt habe.
Ich kann nicht sagen, ob sie wirklich passiert ist.
Ich hatte nie den Mut, ihn zu suchen,
ihm zu schreiben,
zu fragen: "An jenem Tag... hast du mich auch gesehen?"
Vielleicht war er es wirklich,
vielleicht nur ein ähnliches Gesicht,
vielleicht war es nur mein Herz, das diesmal
nicht auf die Vernunft hören wollte.
Es spielt keine Rolle.
Denn seit diesem Moment —
wirklich oder erdacht —
habe ich wieder angefangen zu leben.
Und selbst wenn es nur ein Traum war,
dann gesegnet sei jene Nacht,
die mir die Gnade schenkte,
eines Blicks, der ein Leben wert war.
Und doch, als ich erwachte —
wenn ich wirklich geträumt hatte —
spürte ich etwas anderes in meiner Brust.
Eine Leichtigkeit.
Als wären zehn Jahre Reue und Schuldgefühle
verflogen,
auch nur für einen Moment.
Nicht weil sich die Dinge geändert hatten.
Nicht weil alles geheilt worden war.
Sondern weil ich für einen Moment
spürte, dass ich noch immer existierte
im Leben meines Sohnes.
Und das, für einen Vater,
ist mehr wert als jedes Wort.