Im Morgengrauen des sechsten Monats

Fünf Monate sind vergangen.

Fünf Monate saurer Regen im Gesicht,
scharfe Worte, Schweigen, das lauter war als jeder Lärm.
Ein Hundertsechsundzwanzigstel meines Lebens.
Quantitativ wenig,
doch genug, um die Vergangenheit auszulöschen, die Zukunft zu verpfänden, die Gegenwart zu verwüsten.
Fünf Monate, die ein ganzes Leben wiegen.
Und mir nur eines hinterlassen haben: einen Moment der Klarheit.

Ich habe gelernt, dass niemand kommt, um dich zu retten.
Dass Gerechtigkeit nicht nach Wahrheit sucht,
sondern nach Ordnung.
Dass Leiden nicht adelt: es gräbt.
Und wenn es dich nicht tot vorfindet, findet es dich verändert.
Entblößt, aber klar.

Ich habe gelernt zu wählen.
Es zu tun ohne Angst, ohne das Bedürfnis, jemandem zu gefallen.
Zu wählen wie man atmet: um am Leben zu bleiben.
Und gleichzeitig, alle Optionen auf dem Tisch zu lassen.
Nicht aus Machtgier,
sondern aus Liebe zur Freiheit. Zur echten.

Ich habe meine Feinde erkannt.
Sie tragen keine Rüstungen. Sie tragen Krawatten, Lächeln, gute Manieren.
Sie sprachen mit ruhiger Stimme,
doch unter jedem Satz lag eine einzige Botschaft:
„Du bist das Problem. Akzeptiere es.“
Ich habe es nicht akzeptiert.
Ich habe sie auf die Probe gestellt.
Getestet wie man Metall prüft.
Viele haben den Test nicht bestanden.
Und jedem von ihnen habe ich die Wahrheit gesagt. Ohne Rabatt.

Von dort aus gibt es kein Zurück.
Enttäuschung wurde zu Wut.
Wut wurde zu Verachtung.
Und Verachtung verlangt keine Rache.
Sie verlangt Abstand.
Einen heiligen Raum, um das zu schützen, was von mir übrig ist.

Ich habe geweint.
So sehr, dass man einen Liter Salzwasser hätte füllen können.
Einen Liter echter, greifbarer Tränen.

Keine Metapher.
Ein unsichtbarer Strom, vergossen im Schweigen.
Und doch gehe ich weiter.

Schreiben ist zu Widerstand geworden.
Das Wort, eine Klinge und eine Berührung.
Und meine Kinder – mein einziger Mittelpunkt.
Auch wenn sie nicht bei mir sind.
Auch wenn sie mich zu vergessen scheinen.

Am Ende habe ich verstanden:
Unser Urinstinkt ist nicht das Überleben.
Es ist die Unsterblichkeit.
Die wir in unseren Kindern suchen.
In ihnen hinterlassen wir die Hoffnung, nicht ganz zu verschwinden.
Und wenn sie uns genommen werden,
zerbricht nicht das Herz:
es reißt die Ewigkeit.


Und so sei es.
Ich trete in diesen neuen Monat ohne Hoffnung,
aber mit einer unerschütterlichen Gewissheit:
Ich kämpfe auf der richtigen Seite der Geschichte.

Ich weiß nicht, ob es ein Ende geben wird.
Ob mir Gerechtigkeit widerfährt,
ob mich eines Tages jemand um Verzeihung bittet,
ob meine Kinder je verstehen werden,
was ihrem Vater angetan wurde.

Aber ich weiß dies:
Ich habe mich selbst nicht verraten.
Und jedes Wort, das ich schrieb, jede Geste, die ich tat,
war auch für sie.

Denn eines Tages, vielleicht in ferner Zukunft,
werden sie zurückblicken und wissen,
dass ihr Vater nicht aufgegeben hat.

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