Es war einmal ein Junge, der glücklich in einem kleinen Haus nicht weit vom Wald lebte. Sein Name war Giovanni. Er liebte sonnige Tage, den Klang der Stimme seiner Mutter, die ihn zum Abendessen rief, und die starken Hände seines Vaters, die ihn in die Luft hoben, ihn fliegen und lachen ließen.
Doch eines Tages sah er seinen Vater mit einem Koffer in der Hand und Tränen in den Augen das Haus verlassen.
Er sagte nichts. Er sah ihn an, mit aller Zärtlichkeit, die er in seinem Herzen hatte. Aber er hatte nicht den Mut, ihn zu umarmen. Vielleicht, weil er zu klein war. Oder vielleicht, weil er schon verstand, dass es kein gewöhnlicher Abschied war.
Von diesem Tag an sah Giovanni seinen Vater nie wieder.
Wenn er nach ihm fragte, bekam er immer dieselben Antworten: „Dein Vater ist weit weg.“ „Dein Vater kommt nicht zurück.“
Aber Giovanni hörte nie auf, an ihn zu denken. Nachts, besonders wenn der Himmel von Blitzen erhellt wurde und der Donner durch das Haus grollte, hielt er sein Kissen fest und fragte sich: Wo bist du, Papa? Warum bist du nicht bei mir?
Im Garten, direkt unter dem alten Walnussbaum, lag ein breiter, flacher Stein. Giovanni liebte ihn.
Eines Tages, lange her, hatte ihm sein Vater die Geschichte dieses Steins erzählt. Er hatte gesagt, dass der Stein schon dort gewesen sei, lange bevor das Haus gebaut wurde – wahrscheinlich seit Jahrhunderten – und dass er in gewisser Weise Teil ihrer Familie geworden sei.
„Weißt du, Gio‘, dieser Stein kennt uns besser als jeder andere.“
Der Stein hatte schon viele Rollen: manchmal diente er zum Abstellen von Werkzeugen, ein anderes Mal wurde er zu einem improvisierten Sommertisch unter dem Sternenhimmel.
Es war etwas Einfaches, aber für ihn war es ein Schatz voller Erinnerungen. Jetzt war er das Einzige, was geblieben war.
Seit sein Vater weg war, setzte sich Giovanni jeden Tag nach den Hausaufgaben auf diesen Stein. Er tat es, ohne groß darüber nachzudenken. Es war, als wüsste sein Körper schon, wohin er gehen musste. Wie zu einem geheimen Freund. Und jedes Mal, wenn er dort saß, kamen die Fragen zurück.
„Aber wo bist du hin, Papa? Warum bist du nicht bei mir?“ „Hast du aufgehört, mich zu lieben?“ „Habe ich etwas falsch gemacht?“
Der Stein antwortete natürlich nie. Aber es schien, als höre er zu. Als beobachte er ihn – ohne je zu urteilen.
Eines Tages flüsterte Giovanni: „Zumindest sagst du nichts. Die Antworten der anderen… sind Lügen. Das spüre ich.“
Er verstand, dass diese Antworten die Frage umgingen. Die Erwachsenen wollten nicht zugeben, was für ihn offensichtlich war.
Der Schmerz wurde noch größer, wenn er seine Klassenkameraden über ihre Väter sprechen hörte.
Vielleicht sprach er deshalb mit dem Stein. Weil der Stein nicht log. Weil er blieb. Das genügte.
In jener Nacht hatte Giovanni einen sehr seltsamen Traum. Er war im Garten, aber der Stein war verschwunden. Dann drehte er sich um. Und er sah ihn.
Ein Mann, still stehend im Gras. Sein Gesicht war von Licht erfüllt.
„Du bist zurück! Ich wusste, du würdest mich nicht verlassen!“ rief Giovanni. Er rannte, um ihn zu umarmen.
Und in diesem Augenblick sah er etwas in den Augen des Mannes. Eine tiefe Sanftheit. Ein Licht, das von Vergebung sprach. Oder vielleicht von Zärtlichkeit.
Er verstand alles. Er verstand, was die Erwachsenen immer zu verbergen versucht hatten. Und was er im Traum in wenigen Sekunden erkannt hatte: sein Vater hatte ihn nie verlassen.
Doch gerade als er ihn berühren wollte… wachte er auf.
Er sah aus dem Fenster. Der Stein war noch da. Unbeweglich. Aber in ihm hatte sich etwas verändert.
Giovanni war etwas Außergewöhnliches gelungen. Er hatte den Schmerz, die Sehnsucht, die unbeantwortete Frage genommen – und verwandelt.
Er hatte einen Stein, einen leblosen Gegenstand, in das lebendigste und wahrhaftigste verwandelt, das er hatte: die Gegenwart seines Vaters.
Ein Bedürfnis, so tief, dass es Abwesenheit in Präsenz verwandelte, Schweigen in Zuhören, Stein in Zuflucht.
In der Seele des Kindes war jene Fähigkeit der menschlichen Seele aufgeblüht – Gefühle und Emotionen zu verwandeln in etwas Greifbares, etwas Gegenwärtiges.
Das ist die Kraft der menschlichen Seele: nicht sich anzupassen, sondern zu verwandeln. Nicht den Schmerz zu löschen, sondern ihm eine neue Form zu geben. Eine Form, die tröstet, die begleitet, die im Stillen weiter liebt.
Und so, jedes Mal, wenn Giovanni auf diesem Stein saß, war er nicht mehr allein. Und vielleicht – tief im Inneren – war er es nie gewesen.