Brief an die Kinder

An alle Kinder, die getrennt wurden, die gezwungen wurden, sich von einem Elternteil zu entfernen.

Ich möchte euch etwas Einfaches, aber Entscheidendes sagen: Folgt dem, was euer Herz euch sagt.

Hört nicht nur auf die tausend Worte der Erwachsenen, auf die komplizierten Erklärungen von Sozialarbeiterinnen oder die wütende Stimme eines Menschen, der vergessen hat, was Liebe ist. Ihr wisst bereits, was richtig ist. Ihr wisst es besser als viele andere.

Lasst nicht zu, dass jemand mit einer abstrakten Formel bestimmt, was in eurem Interesse liegen soll.

Gestern hat mir meine zehnjährige Tochter eine Lektion in Menschlichkeit erteilt. Aus der Ferne sah sie mich. Sie zögerte einen Moment. Dann warf sie mir einen Kuss zu. Eine kleine Geste. Doch von immenser Bedeutung.

Diese Geste war verboten. Man hatte es ihr auf jede erdenkliche Weise gesagt. Man hatte ihr gesagt, sie dürfe das nicht tun. Dass es nicht erlaubt sei. Dass der Richter, die Mutter, das Gesetz—

Aber sie folgte ihrem Herzen.

Und in diesem Moment fand ich wieder Sinn. In dieser Geste erkannte ich, dass ihr Kinder besser seid als viele Erwachsene um euch herum. In euch lebt ein innerer Kompass, den kein Dekret zum Schweigen bringen kann. Ihr seid es, die etwas verändern können. Ihr seid es, die dieses heuchlerische System zum Einsturz bringen können. Mit einem Kuss. Mit einem Lächeln. Mit einer Umarmung, die vielleicht nicht erlaubt ist, aber voller Liebe.

Deshalb schreibe ich euch. Um zu sagen: Hört niemals auf zu lieben. Lasst euch von niemandem einreden, dass das, was ihr fühlt, falsch sei. Glaubt nicht denen, die eure Stimme zum Schweigen bringen wollen.

Eines Tages, wenn ihr älter seid, werdet ihr alles verstehen. Aber schon heute lehrt ihr uns mehr, als wir euch je beigebracht haben.

Der verbotene Kuss

Ich habe dich gesehen.
Aus der Ferne.
Ungewisse Augen.
Ein Kuss, in die Luft geworfen.
Du kamst langsam auf mich zu.
Du wusstest, dass diese Geste verboten war.
Man hatte es dir auf jede Weise gesagt.
Doch du bist deinem Herzen gefolgt.

Es dauerte nur wenige Sekunden.
Dann — eine Stimme.
Scharf.
Hysterisch.
In einer Sprache, die keinen Zweifel zulässt:
„Иди дома.“
„Geh nach Hause.“
Das Ende.

Aber diese wenigen Sekunden
haben gereicht,
um mir neue Hoffnung zu geben,
dass es möglich ist —
und notwendig —
widerständig zu bleiben.

Mit all der Liebe, die ich noch in mir trage,
ein Vater.


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